Laufberichte
 

38. New York City-Marathon am 04.11.07
Laufbericht von Gudrun


Alles begann am 03. November 2002 hier in New York City. Ich begleitete damals Wolfgang nun schon zum 12ten Mal zu einem Marathon ins Ausland. Wie immer reisten wir schon einige Tage früher an um Land und Leute kennen zu lernen. Schon im Hotel hatte ich mir auf einem Stadtplan die Stellen markiert wo ich Wolle am Race Day zujubeln wollte.
Erst abends im Hotel fing ich dann langsam an zu begreifen, wo ich bin und was ich da tagsüber an der Strecke erlebt hatte. Ich war eine von über 2 Millionen Zuschauern die das weltgrösste Laufspektakel am Rande live miterleben durfte. Obwohl ich noch nie weiter als 5 km gelaufen war stand mein Entschluss fest, ich werde versuchen auf einen Marathon hin zu trainieren und diesen hier in New York City zu laufen.   

31. Oktober 2007. Ich sitze mit Wolle im Flugzeug in die USA. Wieder ist unser Ziel der „Big Apple“.  Diesmal sind aber auch meine Laufschuhe im Gepäck. Mein Traum vom New York City-Marathon hat sich erfüllt. Allerdings habe ich in den vergangenen  Jahren doch intensiver trainert als es geplant war und mir in Köln, Paris, Berlin, Rotterdam, Dresden, Barcelona und Münster schon etwas Erfahrung antrainiert.   

04. November 2007 ……. der Tag X.
05:00 Uhr. Einen Wecker brauchen wir nicht, denn ein Großteil der Hotelgäste wird über den autom. Weckdienst aus den Federn geworfen. Ich habe in der Nacht sowieso kein Auge zugemacht, Wolle zersägte kanadische Mammutbäume und ich beschäftigte mich mit der Klamottenfrage.
Wolle steht mittlerweile unter der Dusche und gibt dem alten Schweiß keine Chance und ich mümmel in der Zwischenzeit an meinem  Bagel und Muffin herum, bekomme aber keinen Bissen herunter. Jetzt noch  2 Magnesium-Tabletten und dann die erste Schicht der Kleidung (die spätere Laufschicht) anziehen. Darüber dann die wärmere Schicht und zuletzt die ausrangierten Wander-u. Joggingklamotten, die man kurz vor dem Überqueren der Startlinie in Richtung Sammelcontainer zu werfen gedenkt.

Um den Andrang an den 8 Aufzügen in unserem Hotel zu umgehen benutzen wir zum Hinuntergehen die Feuertreppe. Die 26 Etagen schaffen wir in lockeren 12 Minuten.  Um kurz vor sechs steigen wir in den Bus der vor dem Hotel für uns bereit steht. Obwohl ich warm angezogen bin drücke ich meinen grossen UPS-Läuferbeutel feste an mich. Der schwarze Busfahrer löscht das Licht und los geht`s um uns zum Start nach „Fort Wadsworth“, einem ausgedienten Militärareal auf Staten Island zu bringen, wo hunderte Busse die Läufer wieder ausspucken.  Von diesem Zeitpunkt an sind es nur noch lächerliche 3 1/2 Stunden bis zum Start. Jetzt heißt es warten, warten, warten und zwischendurch noch einen Gummibagel und lauwarmen Tee .

Langsam wird es etwas wärmer, ca. 7°C. Wir finden einen schönen Platz in der Sonne, direkt neben dem Live-Reporter von Channel 4.
Was sich hier tut ist eine Mischung aus Camping, Woodstock und einer riesigen Altkleider Modenschau. Wolle trägt einen Jogginganzug anno `95 und ich schütze mich in einem Addidas Sweatshirt, Jahrgang `97. Wir liegen hier wie die Clochards unter den Brücken von Paris. Es fehlt nur, dass wir uns gegenseitig einen Dollar hinwerfen.

Ich bin noch ausgesprochen ruhig und ausgeglichen und habe erst zwei Mal diese Portapotties, bei uns besser als Dixi-Klos bekannt, aufgesucht. Ausserdem wird Wolle den ganzen Marathon neben mir bleiben, die Getränkeflasche tragen und die Pace vorgeben.

Mittlerweile haben sich alle 39000 Läufer(innen)  auf dem riesigen Areal verteilt und lassen den ganzen Wahnsinn der Logistik erkennen. Wolle zeigt mir noch die Stellen wo er im Jahre 2002 bei seiner ersten Teilnahme bis zum Start seine Zeit verbracht hat, bevor wir unsere Kleiderbeutel an einen der 77 UPS-Wagen abgeben.

Noch ½ Stunde bis zum Start und noch immer diese Ami Musik von allen Seiten. Wir begeben uns jetzt so langsam in die Corrals, so nennt man hier die Startzonen, die in tausender Schritten unterteilt sind. Unsere alten Klamotten, die wir eigentlich erst kurz vor dem Überqueren der Startlinie ausziehen wollen, fliegen jetzt schon mittels Einarmfreihandwurf in Richtung Container.

Die Uhr zeigt 10:05 Uhr. Aus der Ferne erklingt die amerikanische Hymne während wir langsam durch die Corrals Richtung Start geführt werden.
10:10 Uhr. Pünktlich erfolgt der Startschuß unter den Klängen von Franki`s „New York, New York“ .
Ist schon verrückt, freiwillig 42,192Km zu laufen (bei meinen Freundinnen aus dem Tennisclub fangen bei diesen Entfernungen schon die Flugreisen an) und dafür auch noch schlappe 2200.- Euro zu bezahlen (pro Person versteht sich) um dann auch noch eine Gänsehaut bei diesem ollen Schlager zu bekommen – und du bekommst sie – wer das Gegenteil behauptet lügt.

Wolle macht noch ein paar Fotos mit seiner Kamera und dann kommt sie: die Matte. 5 Jahre und einen Tag habe ich auf diesen Augenblick gewartet. Mit feuchten Augen höre ich das Piepsen meines Chips.
Wolle und ich verabreden  den gesamten Marathon nur auf der rechten Seite zu laufen um uns bei seinen Fotostops nicht aus den Augen zu verlieren. Ausserdem können wir uns ja noch an den orangefarbenen lt-run4fun.de-Laufshirts erkennen. 

Wir sind auf der Verrazano Bridge, der größten und längsten doppelstöckigen Hängebrücke der Welt. Das Tempo ist sehr verhalten bei dieser Masse an Läufer(innen). Glücklicherweise laufen wir oberhalb der Brücke, wo sich ein fantastischer Blick auf Manhatten eröffnet. Wolles Kamera läuft sich schon warm. All das, was sich bei ihm bei seiner ersten Teilnahme in 2002 an Eindrücken eingeprägt  hat, wird heute auf einem 4GB-Chip gespeichert.
Wir haben die Mitte der Brücke und auch gleichzeitig den höchsten Punkt der gesamten Strecke hinter uns. Dann geht es sehr, sehr lange erstmal bergab, einmal links, einmal rechts und dann nur noch geradeaus.

Wir sind in Brooklyn auf der 4th Avenue angekommen und laufen jetzt fast die Hälfte der gesamten Strecke in diesem Stadtteil. In Brooklyn zu laufen ist großartig. Die Strassen sind 6spurig und überall stehen die Menschen auf und neben der Strasse um uns zuzujubeln, eine fast unglaublich ausgelassene Stimmung, nein – es ist unbeschreiblich. Die Menschen rufen – und was sie rufen – sie rufen unseren Namen, den sie von unseren Laufhemden ablesen. Wahnsinn!
Im Moment habe ich Schwierigkeiten das Tempo einzuschätzen. Die unglaubliche Geräuschkulisse durch Zuschauer und Musikbands (keine Freizeitmusiker sondern echte Profis in Bestbesetzung) und das ständige Abklatschen der kleinen schwarzen Hände der Kinder am Straßenrand rauben mir fast den Verstand. Ich glaube jetzt erst zu begreifen wo ich bin, ich bin in New York. Ich laufe zusammen mit Paula Radcliffe, Grete Wami, Martin Lel und Rodgers Rop den größten und zugleich schwierigsten Stadtmarathon weltweit.

Wir haben mittlerweile den Sunset Park bei Meile 5 erreicht. Durstgefühle machen sich bei mir bemerkbar, aber Wolle, der meine Trinkflasche trägt, läuft kreuz und quer über die 4th Avenue und fotografiert alles was sich bewegt.
Meile 7, Park Slope. Wolle bleibt endlich neben mir und gibt das Tempo vor. 06:30 – 06:45 sind seine Vorgaben, mehr ist nicht drin bei den vielen Fotostops.
Hinter Williamsburg, am Ende von Brooklyn, steppt noch immer der Bär. Es wird weiterhin noch gejubelt, geklatscht und gerufen.

Plötzlich wird es aber merklich ruhiger. Wir verlassen Brooklyn und kommen in eine andere Welt, wir sind in Queens. Hier leben die meisten orthodoxen Juden New Yorks. Diese Menschen sehen nicht nur anders aus, sie sind es auch. Irgendwie zeigen sie ein demonstratives Desinteresse am Marathon. Keine zwei Hände die sich klatschend zueinander finden, selbst die Kinder sind stumm und halten die 39000 Läufer(innen) scheinbar für das Normalste der Welt. Irgendwie Irre.            

Meile 13. Wir nähern uns der ersten größeren Herausforderung, der Pulaski Bridge. Eine lange und sehr gemeine Steigung. Man sieht die ersten Leute gehen. Auch ich merke beim Lauf, auf der Brücke aus hunderten Stahlträgern, wie meine Beine schwerer werden und das Tempo langsamer wird. Der Anstieg scheint nicht zu enden. Kurzes Stehenbleiben, um einige Fotos zu machen, bringt nur mäßige Entlastung. Mitten auf der Brücke die Matte zum Halbmarathon. Die Stoppuhr zeigt 02:18:24, nicht ganz das was ich mir erhofft habe aber immer noch gut genug für diesen einzigartigen Sightseeing-Lauf. Für eine Bestzeit ist dieser Marathon nun wirklich nicht geeignet. 

Meile 15. Eine der schönsten und zugleich härtesten Herausforderung steht uns bevor, die Queensboro Bridge. Mit ihrem 2km langen und stetigen Anstieg ist sie eine der Höhepunkte der Strecke. Auf der Brückenmitte dann noch schnell ein paar Fotos die ein junger Schwede von Wolle und mir macht. 
Und dann, was ist das? Meine rechte Kniekehle schmerzt plötzlich fürchterlich. Verdammter Mist. Ich kann kaum noch auftreten. Was machen? Man kann sich nicht vorstellen was das für ein Scheißgefühl ist. 5 Jahre habe ich mich auf diesen Marathon  gefreut und Wolle läuft nur meinetwegen ein zweites Mal mit. Außerdem ist er ja mein Pacemaker, Getränkeflaschenträger und Motivator. Also halte ich mich erstmal geschlossen und beiße die Zähne zusammen.
Wir verlassen die Queensboro Bridge und laufen am Ende durch die berühmte Haarnadelkurve und sind in Manhatten. Die 1st Avenue ist an dieser Stelle 8spurig!! War es bisher schon laut an der Strecke so finde ich für das was hier abläuft keine Worte mehr. Der Lärm ist so ohrenbetäubend, dass man sich nicht mehr unterhalten kann. Die 1st. Avenue ist schier endlos lang. 4 Meilen kerzengerade, ein unglaublicher Blick bis zum Horizont.

Jetzt lassen auch meine Kräfte merklich nach, die beiden Brücken haben doch sehr geschlaucht. Ich muß etwas essen. Hier in Manhatten hat es Tradition, dass die Zuschauer am Streckenrand als Energielieferanten fungieren. Bananen, Donats, Kuchen und Süßigkeiten werden uns rechts und links gereicht. Ich nehme das Angebot dankend an und verzehre langsam und genüßlich eine ganze Banane. Wolle besorgt mir noch ein frisches Getränk um dann wieder neue Fotos zu schießen.
Die 1st. Avenue nimmt und nimmt kein Ende und ich fühle mich nicht gut. Mein Tempo liegt jetzt bei 06:45 min/km aber die Zuschauer puschen mich und geben mir neue Kraft.

Meile 20. Wir betreten die Willis Ave. Bridge die in die Bronx führt. Die Laufgitter der Brücke sind mit einem gelben Teppich ausgelegt um Stürze zu vermeiden. Gleich auf dem ersten Meter steht eine junge Frau mit einem großen Schild: „Welcome to the Bronx“. Eine nicht geglaubte Herzlichkeit erwartet uns hier. Kleine Kinderhände wollen abgeklatscht werden andere reichen uns Schokolade, Bonbons oder Obststückchen.

Nach einer Meile!! verlassen wir über die Madison Ave. Bridge schon wieder die Bronx und sind „back in Manhatten“. Die letzte harte Prüfung steht jetzt an. Parallel zur 1st. Avenue laufen wir die berühmte 5th. Avenue wieder Richtung Süden. Es geht nun ständig bergauf und bergab, man wird so richtig mürbe gemacht. Wolle merkt, daß mich der Mann mit dem Hammer eingeholt hat und das ich Probleme mit dem rechten Knie habe. Er bleibt nun neben mir. Ich weiß nicht was mehr weh tut, das Rauf- oder das Runterlaufen. Es zeigt sich immer mehr, warum New York zu den schwierigsten Stadtmarathons überhaupt zählt. Aber wie an der gesamten Strecke helfen auch hier die Zuschauer ungemein. Um uns herum jubelt und kreischt es.

Bei Meile 24 laufen wir direkt in den Central Park. Noch liegen einige Hügel vor uns. Dann ein Schild: “900 Yards to go”. Aber wieviel sind 900 Yards? Mir war nur klar, ich würde das Ziel erreichen. Wir verlassen auf der 59th. Straße noch einmal den Central Park und laufen unter dem Jubel zehntausender Zuschauer Richtung Columbus Circle. Nun geht es zum letzten Mal rechts in den Central Park. Noch 400 Yards. Es geht wieder bergauf, aber das wusste ich vorher. Nur noch 100 Yards. Jetzt sieht man das Ziel. Die riesigen Scheinwerfer der Fernsehanstalten auf der Zielbrücke blenden uns. Kurz darauf ein Blitzlichtgewitter der vielen Fotografen für die Finisher-Fotos. Dann der letzte Piepser. Ich habe die Zielmatte nach 04:49:54h überquert. Ich falle Wolle in die Arme. Vor Schwäche? Vor Freude? Ich weiß es nicht. Ich verharre noch einige Minuten hinter der Ziellinie um dann zu begreifen:
                                                           „Ich bin New York gelaufen“

Gudrun