Die Vorbereitung
Es
ist nicht leicht, einen Startplatz bei einem der berühmtesten Marathons zu
ergattern. Nachdem ich 2014 erfahren hatte, dass die einunddreißigste
Ausgabe des Laufes in 2015 an meinem Geburtstag stattfinden wird, stand
für mich fest, in diesem Jahr teilzunehmen. Nach einer kurzen Email an die
Organisatoren erfuhr ich, dass die Anmeldung ab Februar möglich sein
werde. Schon Anfang des Jahres habe ich den Urlaub für den Lauf
eingereicht und das Hotelzimmer gebucht (sehr schön im Château Beauséjour
in Listrac-Médoc, ca. 15 km vom Start entfernt). Im Februar beschloss man,
die Anmeldung auf den März zu verschieben. Ab März prüfte ich jeden
Morgen, ob das Anmelden möglich ist und schon nach zwei Tagen war ich
erfolgreich. Die 8500 Plätze waren übrigens in 28 Stunden ausverkauft –
Glück gehabt.
Sportlich habe ich mich auf den Marathon vorbereitet, wie auf jeden
anderen auch. Schließlich wollte ich mich nicht mit meiner Kondition
sondern mit dem Lauf beschäftigen. Während des Urlaubs in Südfrankreich
hatte ich mich besonders um den Rotwein und das Laufen in der Mittagshitze
bemüht.
Wichtig bei dem Médocmarathon ist die richtige Verkleidung. Wie in jedem
Jahr gab es auch 2015 wieder ein Motto: „Le Marathon du Médoc se met sur
son 31!“ - was sich etwas übersetzen lässt mit: „Der Médocmarathon wirft
sich zu seinem 31. in Schale!“
Eine Beratung in einem einschlägigen Düsseldorfer Karnevalsgeschäft machte
für mich die Sache klar: mit einer schwarzen Laufhose, rotem Shirt und
goldener Weste kombiniert mit einem Hut, an dem eine Rose in den Farben
der Tricolore geheftet wurde, wollte ich die Deutsch-Französische
Freundschaft darstellen.
Die Ausgabe der Startnummern
Am
Tag von dem Lauf musste man in Pauillac seine Startnummer abholen. Ein
wenig überrascht hat mich, dass sowohl die Meldebestätigung als auch der
Personalausweis genau kontrolliert wurden. Hier wurde nichts dem Zufall
überlassen. Nachdem die Formalitäten vorüber waren, konnten man das bunte
Treiben auf der Marathonmesse genießen. Etliche Teilnehmer kamen schon
verkleidet zur Nummernausgabe, die anderen bekamen zumindest einen bunten
Hut verpasst. Es gab auf der Messe nur einen Stand eines Sportgeschäftes,
wohl aber zwei Stände für Verkleidungen. Rotwein wurde ebenso verkauft wie
Fanartikel des Marathon. Wegen der zunehmend schlechter werdenden
Wettervorhersage erstand ich hier ein Médocmarathonregenponcho für zwei
Euro. Alle anderen Stände beschäftigten sich mit Werbung für vergleichbare
Marathonveranstaltungen: der Biermarathon von Lüttich, der Marathon der
Champagne, der Marathon von Cognac, nicht zuletzt der Sakemarathon in
Japan. Das machte schon jetzt Lust auf mehr, wobei ich mir schon zu diesem
Zeitpunkt nicht vorstellen konnte, dass es einer anderen Veranstaltung
gelingen kann, an den Médocmarathon heranzureichen.
Die Strategie
Zum Ausarbeiten der Strategie ist es sehr wichtig, genau zu wissen, welche
Weine man wann probieren kann. In diesem Jahr nahmen von den 5 Premier
Grand Cru zwei am Médocmarathon teil: Château Mouton-Rothschild und
Château Lafite Rothschild. Diese schenkten auch gleich an den beiden
ersten Versorgungsstationen ihren Wein aus und waren somit mein erstes
Ziel. Danach wollte ich den Marathon in moderatem Tempo weiterlaufen und
möglichst viel von der Atmosphäre und den Verpflegungsstationen mitnehmen.
Das letzte gesetzte Ziel waren die Austern bei km 34 und Entrecôte bei km
36.
Der Lauf
In
der Nacht vor dem Lauf hatte es ausführlich geregnet, doch kurz vor Beginn
der Veranstaltung klarte der Himmel auf. Den Regenponcho brauchte ich
nicht!
Die Startaufstellung erfolgte um 9 Uhr, 700 m vor dem eigentlichen Start.
Bis zum Start um 9:30 Uhr boten sich viele Gelegenheiten, die Kostüme der
anderen zu bewundern und die mitgeführten Wagen zu bestaunen. Während der
Wartezeit wurde eine Artistikvorstellung geboten: 8 – 10 Trapezkünstler
schwebten an einer großen silbernen Kugel 40 m über den Läufern und turnten
an Seilen, Schaukeln und Bändern.
Der Startschuss erfolgte mit viel Rauch und Konfettiregen. Dann ging es
langsam los zu dem 700 m entfernten Start. Die ersten Kilometer ging es
entlang der Landstraße, einer „route départementale“. Da die Straße mit
zwei Fahrstreifen ausgelegt war, verteilten sich die Läuferinnen und
Läufer zwar ein wenig, doch es war noch immer sehr dicht. Den eigenen
Laufrhythmus zu finden war unmöglich, daher konzentrierte ich mich mehr
auf die mich umgebenden Kostümierungen. Der Rand war gesäumt von meist
ebenfalls verkleideten Zuschauern. Hier zeigte sich bereits der Vorteil
meines Outfits – das Thema der deutsch-französischen Freundschaft hat
natürlich niemand ohne Erklärung kapiert, aber auf eine blau-weiß-rote
Rose am Hut spricht jeder Franzose sofort an, was mir schon jetzt einige
aufmunternde „Allez-Les-Bleus“-Rufe einbrachte (die Übersetzung „Lauft ihr
Besoffenen“ ist zwar naheliegend aber falsch...).
Nach kurzer Zeit war der Frühstückspunkt und danach das Château Lafite
Rothschild erreicht. Einen Wein versuchte ich zu ergattern, aber es war
mir in Anbetracht der Menschenmengen vor der Ausgabe nicht möglich. Also
schnappte ich mir wenigstens eine Wasserflasche – es war bereits sehr warm
– und lief ich nach wenigen Minuten weiter. Auch beim nächsten Premier
Grand Cru hatte ich kein Glück. Ein wenig machte sich die Sorge breit,
dass ich mit meiner Renntaktik völlig falsch gelegen hatte. Dennoch gab es
Lichtblicke: im Château Cos d'Estournel überholte ich zwei tolle von
Läufern gezogene Wagen: eine Stretchlimousine und den Nachbau eines
Schlosses auf einem Bollerwagen. Hier war die Menschentraube an der
Weinausgabe überschaubarer und im Château Le Crock, einem Cru Bourgeoise,
kam ich zu meinem ersten Glas Wein nach immerhin 6 km. Das war auch
dringend nötig. Eine Zeitlang lief ich mit einer Gruppe von ca. 15 Kühen
aus der Schweiz, die aber wohl wegen des beharrlichen Muhens irgendwann
immer weiter zurückfielen. Da diese Kühe
sich auch als gute Rotweintrinker in Le Crock erwiesen hatten, hatte ich
von nun an mehr Platz an den nächsten Versorgungsstationen. Innerhalb der
nächsten 5 km folgten die Châteaux La Haye, Pomys, de Pez und le Boscq,
allesamt Cru Bourgeoise.
Mittlerweile
herrschte echtes Waschküchenklima vor, 22 °C und 85% relative
Luftfeuchtigkeit. Am Château Montrose, immerhin ein Deuxième Grand Cru,
nach 14 km musste ich leider einen Rotwein Pause machen. Offenbar war ich
etwas zügig an den letzten Châteaux gewesen. Es war gerade einmal ein
Drittel der Strecke geschafft und ich wollte noch ein paar Rotwein
mitnehmen...
Die Strecke verlief danach entlang den Ufern der Gironde auf der Straße,
ca 5 km sehr gerade mit wenig Abwechslung. Allenfalls ein paar verkleidete
Zuschauergruppen und eine Band sorgten für etwas Stimmung. Es gab auch
keinen Wein mehr – vermutlich in Ermangelung von Châteaux in diesem
Bereich... Mein Leid auf diesem Streckenabschnitt teilte ich mit einer
Gruppe von Bretonen, so dass die Zuschauer nach dem Ruf „Boris: Allez Les
Bleus“ ein munteres „Ahh – les Bretonneux“ nachfolgen ließen.
Nach 19 km durchliefen wir wieder Pauillac. Die Stadt war voller Menschen
– es war beeindruckend. Auch das hiesige Château war wieder so gut
besucht, dass nicht an Rotwein zu denken war. Dieser musste bis zum 22.
Kilometer warten: Château Grand Puy Lacoste, einem cinquième Grand Cru –
immerhin der hochwertigste Wein bislang. Der Himmel begann sich zuzuziehen
und nach Château Larouse-Trintaudon (Cru Bourgeoise) und Château Belgrave,
noch ein cinquième Grand Cru, begann es heftig zu regnen. Das war schlimm
– meine Kamera wurde nass und verweigerte ihren Dienst. Den verwässerten
Rotwein mochte ich auch nicht mehr nehmen, es machte sich eine Stimmung
breit, die Sache schnell zu beenden. So verpasste ich einige Weine. Bei km
33 hatte sich das Wetter wieder beruhigt und ich nahm den Wettkampf wieder
auf: Château Beychevelle, ein quartrième Grand Cru. Das letzte Château –
Pichon-Longueville – bescherte mir bei km 38 den zehnten Rotwein auf der
Tour. Es war ein deuxième Grand Cru und damit ein würdiger Abschluss des
Laufes.
Natürlich bin ich die letzten vier Kilometer noch ins Ziel gelaufen. Zuvor
gab es noch Entrecôte und Schokoladeneis. Den Käse hatte ich wohl
übersehen; bei den Austern bin ich zwar stehengeblieben, aber jetzt
regnete es wieder und einige Rotwein stellten mir die Frage, ob es
sinnvoll sei, jetzt Austern mit Zitrone zu essen. Wegen mir ist bei diesem
Lauf keine Auster ums Leben gekommen.
Der Zieleinlauf
Waren
es vom Start bis zum Beginn des Marathon 700 m zu laufen, so hatte ich
beim Zieleinlauf das Gefühl, dass auch der letzte Kilometer um ein paar
Meter verlängert wurde. Völlig durchnässt erreichte ich also nach
gefühlten 45 km den roten Teppich. Die Stimmung war hier eher verhalten,
es gab wenig Zuschauer. Diese standen wohl alle davor in der Stadt. Beim
Überschreiten der Ziellinie wurde sofort meine Platzierung angezeigt –
etwas in der Größenordnung von 800. Das überraschte mich, dachte ich doch
ich sei eher im Mittelfeld der 8000 Teilnehmer. Es erklärte mir später,
warum ich an den Châteaux irgendwann so viel Platz hatte und Rotwein
bekam. So gesehen ging meine Renntaktik letztendlich doch auf. Wie wichtig
die Zeit bei diesem Marathon ist, vermag man daran ermessen, dass die
Rennleitung die Platzierung nur anhand der Bruttozeit ermittelt. Die
Nettozeit wird zwar gemessen und auch mitgeteilt, ist aber letztendlich
nicht relevant. Trotz vieler Pausen und des moderaten Tempos ist der
Marathon du Médoc immer noch ein Marathon mit allen bekannten Höhen und
Tiefen. Nach 30 Kilometern werden alle etwas leiser und sind mehr mit sich
selbst beschäftigt. Es ist sogar viel schwieriger hier seinen Rhythmus zu
finden und durchzulaufen als bei einem normalen Marathon.
Was
bleibt vom Médoc Marathon?
Es
war ein unbeschreibliches und nachhaltiges Erlebnis. Die Vielzahl der
Eindrücke auf der Strecke ist bestechend. Am Ende ist es aber doch ein
Marathon über 42 km. Es ist gut, ausreichend vorbereitet zu sein, um die
Strecke mit all seinen Finessen genießen zu können. Zeiten und Plätze sind
gleichgültig, es bleibt die Ausgelassenheit der Teilnehmer, Zuschauer und
Helfer, die den Marathon des Châteaux du Médoc zu einem der größten Feste
machen. In jeder Hinsicht ist der Lauf großartig aber gleichzeitig auch
detailverliebt: ob das die mit tausenden Luftballons geschmückten
Weinberge des Château La Haye sind oder die Artisten am Start oder die mit
Rotweingläsern und Servietten eingedeckten Tische in der Nachversorgung
oder … oder … oder ….
Mir bleibt die Erkenntnis, dass Frankreich wieder einmal gezeigt hat, was
man unter „savoir vivre“ versteht!
Merci
beaucoup pour cette expérience formidable!
Vive la
France – vive le Médoc!
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